Mehr Innovation, weniger Lockdown

Rhein-Neckar-Zeitung 22. Februar 2021

FDP-Chef Lindner bei den Weinheimer Liberalen – Er sagte viel zur Pandemie, sah die Richtungsentscheidung aber in Industriepolitik

Weinheim. Christian Lindner wählte den Einstieg mit Seitenhieb. Einen Vorteil habe es ja, dass die Pandemie den Vororttermin verhinderte, so der FDP-Bundes-vorsitzende in der Onlinerunde mit den Weinheimer Liberalen am Samstag: Er strapaziere die Infrastruktur im grün-schwarz geführten Baden-Württemberg nicht noch weiter. Nun hätte Lindner zwar – egal, ob er aus seinem Wahlkreis im Nordosten von Köln oder aus Berlin angereist wäre – die wenigen Kilometer zwischen der hessisch-badischen Grenze und Weinheim sicher überlebt, aber es ging ja um das Signal: Die FDP will kein Weiter-so im Land.
Zunächst stellte sich Alexander Kohl vor, der FDP-Landtagskandidat im Wahl-kreis Weinheim. Er forderte je ein Digitalisierungsministerium für Bund und Land, um in diesem Bereich voranzukommen. Einen kurzen Exkurs widmete er den Blühstreifen entlang der Straßen: Würden diese artgerecht gemäht, könne man mit wenig Bürokratie viel erreichen für den Schutz von Flora und Fauna. Nachdem der Weinheimer Martin Bührmann in seiner Rolle als Moderator wieder Lindner das Wort erteilt hatte, ging es um gewichtigere Themen: Für eine etwaige Landesregierung mit FDP-Beteiligung gebe es viel zu tun, das Land sei von seiner Spitzenposition in Bildungsfragen ins vordere Mittelfeld abgerutscht, so der seit 2013 amtierende FDP-Bundesvorsitzende. Gerade Beschäftigte in der Automobilindustrie müssten wissen, dass die FDP die Partei der Innovation sei, setzte er weitere Spitzen.
Einen größeren Block widmete Lindner der Pandemiebekämpfung, in der die Bundes-FDP ihre Rolle als Oppositionspartei zunehmend offensiv interpretiert. Covid-19 dürfe niemals verharmlost wer-den: „Aber es ist ein Armutszeugnis, wenn die Regierungen nach einem Jahr Pandemie den Slogan, Wir bleiben zu Hause‘ weiter zum Hauptprinzip erheben.“ Mehr Innovation und weniger Lockdown, das sei möglich, forderte er Konzepte ein: Die FDP habe zu den ersten Kräften gezählt, die die Einführung medizinischer Schutzmasken verlangten. Ebenso wie den verstärkten Einsatz von Luftreinigern oder die „strategische Nutzung“ von Schnell- und Selbsttests. Für gefährdete Gruppen brauche es Schutzkonzepte, etwa die flächendeckende Versorgung mit Taxitickets oder exklusive Zeitkorridore zum Einkaufen.

Die große Richtungsentscheidung sieht Lindner indes in der Wirtschaftspolitik. So warnte er davor, in eine „staatlich or­chestrierte Industriepolitik“ zu verfallen, die er in Frankreich ausgemacht hat. Die FDP stehe zur „Ordnungsidee der sozialen Marktwirtschaft“, ohne die Erfolge wie die Entwicklung von Corona-Impfstoffen un­möglich wären. Gleichzeitig gelte es, De­fizite zu beheben: Laut Lindner hat in ers­ter Linie das Engagement der Lehrer den Pandemiebetrieb aufrechterhalten.

Die Basis applaudierte artig per Chat­symbol. Eine interessante Frage an Lind­ner lautete, ob Einschränkungen beim Datenschutz (Corona-Warn-App, US-Lernplattformen) nicht doch gerechtfer­tigt seien – angesichts der Tatsache, dass andere Grundrechte noch mehr leiden unter dem Lockdown. Lindner wider­sprach und führte dabei Erkenntnisse der Liberalen aus Nordrhein-Westfalen- dort sind sie Regierungspartei – und der Bundestagsfraktion an: Bei der App seien Datenschutzdebatten sogar kontraproduktiv, man wolle sie den Bürgern ja schmackhaft machen. Und für Schulen gebe es gute Lernplattformen, die ohne die Hilfe von US-Konzernen auskämen. Kohl ging auf die Ängste von Gastronomen und Einzelhändlern ein. Schon vor der Viruskrise hätte das inhabergeführte Cafe mit der Finanzbürokratie gekämpft, während die Kaffeehausfiliale um die Ecke billig weg-kam, dank Fachleuten im Konzern: Die Politik müsse der Überforderung der Kleinen begegnen. Bundestagsabgeordneter Jens Brandenburg (Wahlkreis Rhein-Neckar) bemängelte, dass Baden-Württemberg im Zuge des ersten Digitalpakts vor allem Mittel für die digitalen Endgeräte abgerufen habe, bei den eigentlichen Digitalpaktmitteln aber hinterherhinke

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