Europa bringt mich um meinen Schlaf

Weinheimer Nachrichten

Hoher Besuch beim Spargelessen der FDP: Der frühere Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel (Dritter von links) mit Karl-Ludwig Mangold, Marc-Oliver Krüger, Joachim Schneider, Günter Breitling und Matthias Kühlwein (von links).

Von unserem Mitarbeiter Paul Pflasterer

WEINHEIM. „Christian Lindner sagte mal, wenn Klaus Kinkel sein Wort gibt, dann hält er es auch. „Mit diesen Worten begrüßt der sichtlich aufgeregte Geschäftsführer der FDP Weinheim, Marc-Oliver Krüger, den Ehrengast des Abends. Schon im vergangenen Jahr holte sich das Fraktionsmitglied der Liberalen die mündliche Zusage des ehemaligen Außenministers ein, beim diesjährigen Spargelessen dabei zu sein. Versprochen ist versprochen, Dr. Klaus Kinkel hielt Wort und sitzt nun bei einem Glas Weißwein inmitten von rund 30 Parteifreunden in einem festlich eingedeckten Nebenraum der „Fuchs’schen Mühle“.

Die Stimmung ist ausgelassen, als Krüger zwischen Vorspeise und Hauptgang nochmals das Wort ergreift. „Wir freuen uns sehr, dass Sie heute Abend den Weg zu uns auf sich genommen haben. Wir alle sind gespannt, was Sie uns zu erzählen haben“, sagt er ehrfürchtig. Der 81-jährige Kinkel nimmt auf einem leer gebliebenen Esstisch Platz, die Füße auf einen davor stehenden Stuhl gestützt. „Ich habe Neuropathie, wissen sie“, eröffnet er. Der Mann, dem heute das Sitzen zwar leichter fällt, als das Stehen, besitzt nach wie vor die ungetrübte Ausstrahlung eines großen Staatsmannes. Mit leicht schwäbelnder, aber deutlicher Stimme richtet er das Wort an sein Publikum, das von da an unentwegt an seinen Lippen hängt. Kinkel hat weitaus mehr zu erzählen, als nur die vergangene Bundestagswahl und die darauffolgenden Jamaika- Koalitionsverhandlungen abzuhandeln. Trotzdem beginnt er, die Wochen der Regierungsbildung zu sezieren: „Ich habe mich geniert, dass das so lange gedauert hat.“ Verantwortlich dafür sei unter anderem eine Bundeskanzlerin, die sich im Dämmerungszustand befände und eine schwache SPD, die nicht auf die Beine käme aber als starke Volkspartei enorm wichtig sei. Für die FDP sei es nun schwierig, aus der Opposition heraus die eigenen Themen durchzusetzen. Bedauerlich ist auch, dass die Liberalen nun nicht in der Außenpolitik vertreten sind. Dennoch stehe er hinter Lindner als Fraktionschef, Kinkel ist von dessen Fähigkeiten überzeugt.

Auch auf europäischer Ebene schlüge sich der Machtverlust Merkels deutlich nieder. „Europa bringt mich um meinen Schlaf. Es zeichnet sich ein Auseinanderdriften und ein Hang zum Nationalismus ab“, sagt Kinkel. Um ein Zerbrechen des Länderverbundes zu verhindern, brauche es wieder starke Persönlichkeiten, „die man auch in Russland, China und den Vereinigten Staaten ernst nehme“. Von Frankreich und Macron, der eine „Showfigur“ und „Vorprescher“ sei, habe man sich mittlerweile den Rang ablaufen lassen. Der bevorstehende Brexit trüge dazu bei, dass sich die Situation in Zukunft nicht einfacher gestalte, denn Großbritannien galt als wichtiger Gesprächs- und Verhandlungsführer.

Seine Betroffenheit und Besorgtheit ist verständlich: Von 1992 bis 1998 war er als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland tätig und formte mit der damaligen Regierung um Bundeskanzler Helmut Kohl das heutige Europa.

Klaus Kinkel führt seinen politischen Rundumschlag fort und versucht in der knapp bemessenen Redezeit von gerade einmal 30 Minuten alles ihm wichtig erscheinende unterzubringen. „Von den Präsidenten der Weltmächte, besonders von Trump und Putin, wünsche ich mir eine lösungsorientierte Zusammenarbeit bei den aktuell wichtigen Themen, besonders beim Syrienkonflikt. Hier haben wir als Westen versagt“, ergänzt Kinkel. Erwarten könne man vom „psychiatriereifen“ US-Präsident allerdings wenig. Russlands Staatsoberhaupt hingegen sei klüger und berechenbarer als Erdogan, Kim Jong Un und andere. Zwar ließe auch er ordenüich die Säbel rasseln, seine Motive seien aber erkennbar. „Der Westen hatte seinen Anteil an der Krim-Krise. Die Ukraine wurde immer wieder umgarnt sollte näher an Europa rücken“, erläutert er. Eine wahre Bedrohung ginge von ihm nicht aus.

Nach weiteren, kurzen Themenanrissen und Analysen, unter anderem zum desolaten Zustand der Bundeswehr, Kinkels Aktivitäten als Ethik-Kommissar der FIFA und Plaudereien aus seiner Zeit als Außenminister, wird schließlich der Spargel serviert. Kaum ist das Stangengemüse verzehrt, bildet sich nochmals eine Gesprächsrunde, in der Kinkel vor allem Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklungen beantwortet und Prognosen gibt. Zum Abschied überreicht Krüger, der die Vorsitzende Andrea Reister vertritt, das Gastgeschenk: Weinheimer Wein mit personalisiertem Etikett und ein Buch von Papst Franziskus -das allerdings zu spät geliefert wurde und nachgereicht werden muss.